Schadensersatz für überlange Gerichtsverfahren – Bald auch für EE?
« NewsübersichtLangwierige Gerichtsverfahren sind für Windenergieprojekte mittlerweile von der Ausnahme zur Regel geworden. Nach einer Branchenumfrage von FA Wind und BWE aus dem Jahr 2019 waren 325 Windenergieanlagen mit mehr als 1.000 MW beklagt, Tendenz kontinuierlich steigend.
Durch die lange Verfahrensdauer vor den Gerichten kann es sogar in Fällen, in denen das Gerichtsverfahren gewonnen wird sein, dass das geplante Projekt letztendlich nicht verwirklicht werden kann, da der festgeschriebene Anlagentyp nicht mehr lieferbar ist oder schlichtweg die finanzielle Situation es nicht mehr zulässt. Durch das neue Investitionsbeschleunigungsgesetz soll dem nun entgegengewirkt werden, maßgeblich durch die Verkürzung des Instanzenzuges und den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von anfechtenden Drittrechtsmitteln.
Hierzu berichteten wir bereits:
https://www.maslaton.de/news/Investitionsbeschleunigungsgesetz-tritt-in-Kraft--n790
Jedoch ist aktuell noch unsicher ob diese Änderung wirklich positive Auswirkungen haben wird, vor allem die personelle Verfügbarkeit an den OVGs lässt diesbezüglich Zweifel erwachsen. Unterstellt man also, dass sich das Problem der langen Verfahrensdauer durch das Investitionsbeschleunigungsgesetz nicht über Nacht in Luft auflöst bleibt die Frage nach anderen Lösungsansätzen zunächst bestehen.
Einer davon könnte das Entschädigungsverfahren nach § 198 Abs. 1 GVG darstellen, nach dem angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Hierunter fallen neben den materiellen Nachteilen ebenfalls auch immaterielle Nachteile, vgl. § 198 Abs. 2 GVG. Das Vorliegen eines solchen Nachteils wird bei der unangemessen langen Dauer eins Gerichtsverfahrens gesetzlich vermutet.
Das BVerwG setzte sich in seinem Urteil vom 05.06.2020 (Az. 5 C 3/19 D) erstmals mit den Grenzen dieser Nachteilsvermutung auseinander.
Der zugrunde liegende Ausgangsrechtsstreit hatte die Erteilung eines Bauvorbescheides für ein Wochenendhaus zum Gegenstand. Der Antrag wurde zunächst von der zuständigen Behörde abgelehnt, das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt und eine entsprechende Verpflichtungsklage vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Daraufhin beantragte der Kläger beim Oberverwaltungsgericht Anfang 2012 die Zulassung der Berufung. Ende 2015 rügte der Kläger die Verzögerung der Berufungszulassungsverfahrens. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) wies schließlich im November 2016 nach stolzen vier Jahren und zehn Monaten Verfahrensdauer den Zulassungsantrag ab.
Im Entschädigungsverfahren gemäß §198 GVG machte der Kläger nun die unangemessene Länge des Verfahrens geltend. Das erstinstanzlich zuständige OVG wies diese Klage ab unter Berufung auf die Tatsache, dass der Kläger noch vor dem Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung illegaler Weise sein Bauvorhaben verwirklichte und ihm daher gar keine Nachteile aus der langen Verfahrensdauer erwachsen wären.
Das BVerwG hat das Urteil aufgehoben und an das OVG zurückverwiesen und stellte fest, dass die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt ist, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger ggf. geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die unangemessene Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (= Kausalzusammenhang).
Mit der Entscheidung hat das BVerwG erstmalig den Prüfungsmaßstab der gesetzlichen Vermutungsregelung festgelegt und klargestellt, dass sogar rechtswidriges Verhalten einen Nachteil durch überlange Gerichtsverfahren nicht grundsätzlich ausschließt.
Hieraus ergibt sich tendenziell ein noch größerer Umfang der möglichen Entschädigungsverfahren nach § 198 GVG, die Annahme, dass ähnlich positive Entscheidungen im Bereich der EE-Branche möglich sind liegt also mehr als nahe. Hierdurch könnten finanzielle Schäden, die durch die wegen Zeitablauf notwendige Neuanfertigung von Gutachten (insbesondere Artenschutz) und/oder der fehlenden Verfügbarkeit des Anlagentyps und der daher notwenigen Durchführung eines Änderungsverfahrens gemäß § 16 BImSchG entstanden sind, ausgeglichen werden.
Die Möglichkeit eines Entschädigungsverfahrens nach § 198 GVG sollte daher künftig nicht aus den Augen verloren werden. Zu beachten ist aber, dass nicht jedes lange Verfahren zwingend zu einem Entschädigungsanspruch führt. Der tritt nämlich erst dann ein, wenn das Gericht „verschuldet“ das Verfahren nicht fördert. Die Dauer des Verfahrens muss gerade in Bezug auf das konkrete Verfahren unangemessen lang sein. Das verlangt eine Abwägung aller Umstände im Einzelfall, wobei es entscheidend auf die Schwierigkeit des Verfahrens in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht und auf die Bedeutung des Verfahrens ankommt (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103; Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1, 2; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.08.2012, Az. 23 SchH 5/12 EntV.). Daher muss ein möglicher Entschädigungsanspruch für jedes einzelne Verfahren erneut genau geprüft werden.
- BGHZ 199, 87-103 -