Datensammelwut der Statistischen Landesämter - Die Verwaltungspraxis bei der Heranziehung zur Auskunft für die Dienstleistungsstatistik ist rechtswidrig
« NewsübersichtDas Bundesverwaltungsgericht hat am 15.03.2017 entschieden, dass die derzeitige behördliche Praxis bei der Heranziehung von Unternehmen zur Auskunft für die Dienstleistungsstatistik rechtswidrig ist.1
Mit dieser Grundsatzentscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht erstmals prononciert zu den rechtlichen Grenzen der Heranziehung zu statistischen Stichprobenerhebungen geäußert.
Diesem Verfahren lagen zahlreiche Rechtsstreitigkeiten der MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit dem Statistischen Landesamt des Freistaats Sachsen zugrunde, die deutlich über ein Jahrzehnt währten. In einer Vielzahl von vorausgehenden Entscheidungen hat insbesondere das Verwaltunsgericht Leipzig stets nahezu gebetsmühlenhaft zum Ausdruck gebracht, dass die behördliche Praxis bei der Heranziehung von Unternehmen zur Auskunft für die Dienstleistungsstatistik nicht zu beanstanden sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dem nunmehr einen klaren Riegel vorgeschoben und mit dieser Entscheidung die zuvor bereits stattgebende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 03.03.20162 bestätigt (wir infomierten darüber mit unserem Newsletter vom 04.03.2016).
Inzwischen liegen die schriftlichen Urteilsgründe vor. Hiernach steht fest, dass die gegenwärtige Verwaltungspraxis der Statistischen Landesämter bei der Heranziehung von Unternehmen zur Auskunft für die Dienstleistungsstatistik aus folgenden Gründen rechtswidrig ist:
Die Dienstleistungsstatistik gibt Auskunft über die Entwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Dienstleistungsbereich.
Ihre Datengrundlage ermitteln die Statistischen Landesämter durch jährliche bundesweite Befragung von höchstens 15 % der Unternehmen und freiberuflich tätigen Einrichtungen aus dem Dienstleistungssektor zu deren wirtschaftlicher Tätigkeit. Die von der Erhebung betroffenen Unternehmen werden nach einem mathematisch-statistischen Verfahren (Neyman-Tschuprow-Verfahren) ausgewählt. Dabei werden alle potenziell auskunftspflichtigen Unternehmen zunächst nach Bundesland, Wirtschaftszweig und Umsatzgröße in Gruppen (Schichten) eingeteilt. Aus jeder dieser Schichten werden sodann auskunftspflichtige Unternehmen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.
Nach dem von den Behörden gewählten mathematisch-statistischen Verfahren kann es in besonders kleinen und heterogenen Schichten geschehen, dass alle Unternehmen dieser Schicht zur Auskunft herangezogen werden (Totalschicht). Eine greifbare Chance auf Nichtheranziehung in Zukunft besteht für diese Unternehmen dann nicht.
Die MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gehört hiernach einer sogenannten Totalschicht an. Infolgedessen wurde das Unternehmen in der Vergangenheit vom Statistischen Landesamt des Freistaats Sachsen regelmäßig jährlich verpflichtet, seine Unternehmensdaten an das Statistische Landesamt zu übermitteln.
Die Statistischen Landesämter hielten dieses Vorgehen für ermessensfehlerfrei. Es beruhe auf einem anerkannten mathematisch-statistischen Verfahren, das im Rahmen des vorgegebenen Stichprobenumfangs von 15 % der Dienstleistungsunternehmen eine optimale Ergebnisgenauigkeit sicherstelle.
Nachdem, wie bereits zuvor akzentuiert worden ist, insbesondere das Verwaltungsgericht Leipzig zunächst noch die Auffassung vertrat, dass dieses Vorgehen des Statistischen Landesamts des Freistaats Sachsen ermessensfehlerfrei sei3, hatte schon die zugelassene Berufung der MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 09.02.2017 vor dem OVG Bautzen Erfolg.
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese stattgebende Entscheidung des OVG Bautzen vom 03.03.2016 nunmehr mit seinem Urteil vom 15.03.2017 ausdrücklich bestätigt. Hiernach hat das Statistische Landesamt bei der Auswahl unseres Unternehmens das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Das Bundesverwaltungsgericht begründet dieses Urteil – ausweislich der vorliegenden Entscheidungsgründe – unter anderem wie folgt:
Nach § 40 VwVfG hat die Behörde, die ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Diesen Anforderungen wird das vom Statistischen Landesamt ausgeübte Auswahlermessen vorliegend nicht gerecht, weil es den Zweck der Ermächtigung verfehlt. Zudem verletzt es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das zur Auswahl der Erhebungseinheiten angewendete Neyman-Tschuprow-Verfahren, das zur Bildung von Totalschichten führt, ist auf die Gewinnung optimaler statistischer Ergebnisse mit einem möglichst geringen relativen Standardfehler ausgerichtet. Seine Anwendung hier überschreitet den Zweck der Ermächtigung, der lediglich die Gewinnung hinreichend repräsentativer statistischer Daten verlangt.
Entgegen dieser Verwaltungspraxis des Statistischen Lamndesamts besteht kein Optimierungsgebot für die Dienstleistungsstatistik. Weder der Anforderung des § 1 Abs. 2 Satz 2 DIStatG, die Erhebungseinheiten nach mathematisch-statistischen Verfahren auszuwählen, noch aus den Vorgaben des § 1 Satz 3 BStatG lässt sich entnehmen, dass innerhalb der vorgegebenen Auswahlgesamtheit von höchstens 15 % aller Erhebungseinheiten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 DIStatG) optimale statistische Ergebnisse zu erzielen sind. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Unionsrecht eine Pflicht zur Erreichung optimaler statistischer Ergebnisse.
Nach diesem Maßstab hat das Statistische Landesamt sein Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt.
In der Ausrichtung der Erhebungsmethode auf optimale statistische Ergebnisse liegt zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, namentlich gegen das Gebot der Erforderlichkeit. Die Erhebung der Daten greift in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, auf die sich die Klägerin gemäß Art. 19 Abs. 3 GG berufen kann. Die Ausübung des Ermessens wird mithin durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.
Das vom Statistischen Landesamt für die Auswahl der Erhebungseinheiten eingesetzte Neyman-Tschuprow-Verfahren ist zwar geeignet, hinreichend repräsentative statistische Ergebnisse zu erzielen, der in der Erhebung der Daten liegende Eingriff ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann erforderlich, wenn der Zweck nicht durch ein den Betroffenen weniger belastendes Mittel erreicht werden kann.
Danach genügt dem Gebot der Erforderlichkeit bei Stichprobenerhebungen ein Auswahlverfahren, bei dem mit der geringstmöglichen Belastung der Auskunftspflichtigen die fachwissenschaftlich notwendigen repräsentativen statistischen Ergebnisse erzielt werden können.
Davon könnte im vorliegenden Fall daher nur ausgegangen werden, wenn die Erhebungsbehörde bei Einhaltung ihres fachwissenschaftlichen Einschätzungsspielraum zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die bei der vorgegebenen Auswahlgesamtheit erreichbaren optimalen Ergebnisse mit dem niedrigsten relativen Standardfehler zugleich die einzig brauchbaren, hinreichend repräsentativen Ergebnisse sind, die zudem nicht durch ein anderes Verfahren mit geringerer Belastung der Auskunftspflichtigen erzielt werden können. Derartige Feststellungen hat das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht getroffen.
Zudem verstößt das vom Statistischen Landesamt ausgeübte Ermessen auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 GG.
Dieser ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.
Bei statistischen Stichprobenerhebungen gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz danach die Anwendung eines Auswahlverfahrens, das die Belastung gleichmäßig auf die auskunftspflichtigen Unternehmen verteilt, soweit der Zweck der Erzielung repräsentativer Ergebnisse das noch zulässt.
Die Klägerin gehört einer Totalschicht an und wird deshalb seit dem Jahr 2003 ununterbrochen zur jährlichen Dienstleistungsstatistik herangezogen. Da ein systematischer Austausch der Erhebungseinheiten (Rotation) in einer Totalschicht in der Regel nur bei grundlegender Änderung der Zusammensetzung der Schicht in Betracht kommt, ist für die Klägerin auch zukünftig nicht mit einer realistischen Chance auf Nichtberücksichtigung zu rechnen.
Setzt sich hingegen eine Schicht aus einer großen Anzahl homogener Erhebungseinheiten zusammen, ist eine regelmäßige Rotation bei jeder neuen Stichprobenziehung, mithin aber alle 3 bis 5 Jahre, zu erwarten. Das führt zu einer über die Jahre anwachsenden Ungleichbehandlung von Unternehmen, die einer Totalschicht angehören, gegenüber solchen Unternehmen, die einer regelmäßig rotierenden Schicht zugeordnet sind. Die Ungleichbehandlung kann daher mit der Zeit ein beträchtliches Ausmaß annehmen, auch wenn die jährliche Erhebung der Dienstleistungstatistik für sich genommen nicht besonders auffällig ist.
Die für die Erhebung größere Bedeutung der Daten von Unternehmen, die einer Totalschicht angehören, kann diese Ungleichbehandlung schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Erhebung der Dienstleistungsstatistik auf die vom Zweck der Ermächtigung nicht gedeckte Erzielung optimaler Ergebnisse mit möglichst geringem Standardfehler gerichtet ist.
Abgesehen davon verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung angesichts des über die Jahre ständig wachsenden Ausmaßes der Ungleichbehandlung, dass die Belastung der Befragten möglichst gleichmäßig auf die Auskunftspflichtigen verteilt wird und möglichst alle Unternehmen an einer Rotation teilhaben können, wenn auch gegebenenfalls in unterschiedlichen Zeitabständen. Totalschichten kommen allenfalls in Betracht, wenn und soweit sie im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Auswahlgesamtheit von 15 % aller Erhebungseinheiten zwingend notwendig sind, um noch hinreichend repräsentative Ergebnisse erzielen zu können.
Auch der Gesetzgeber ist im Übrigen davon ausgegangen, dass das Auswahlverfahren einen systematischen Austausch der jeweils Auskunftspflichtigen vorsieht und diese Rotation dazu dient, eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Auskunftsverpflichtung zu erreichen.4
Vor dem Hintergrund dieser konsequent zutreffenden Entscheidung des Bundesverwaltunsggerichts empfehlen wir betroffenen Unternehmen, gegen entsprechende Heranziehungsbescheide der Statistischen Landesämter Widerspruch zu erheben und auf der Grundlage dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts prüfen zu lassen, ob deren Heranziehung zur Auskunft für die Dienstleistungsstatistik ebenso rechtswidrig ist wie die Heranziehung der MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH durch das Statistische Landesamt des Freistaats Sachsen.
Rückfragen und weitere Informationen:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Maslaton, martin@maslaton.de;
Rechtsanwalt Christian Frohberg, frohberg@maslaton.de;
Telefon: 0341 – 149 50 0, Internet: www.maslaton.de