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Energieeffizienz – Berliner Norm zum Überbau noch verfassungskonform

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Mit Urteil vom 23. Juni 2022 (V ZR 23/21) hat sich der Bundesgerichtshof ausführlich zu (verfassungsrechtlichen) Fragen des Überbaus bei energetischen Sanierungen geäußert. 

Ausgleich zwischen Klima- und Nachbarschutz in den Ländern 

Werden Altbauten energetisch saniert, kommt es insbesondere im städtischen Bereich häufig zu einem nachträglichen Überbau. Maßnahmen zur Wärmedämmung führen naheliegenderweise schnell dazu, dass die neuen Außenwände des Gebäudes über die alten Grundstücksgrenzen hinausragen.

Um die entstehenden Konflikte zwischen den Nachbarn zu regeln, haben die Bundesländer zahlreiche Spezialvorschriften erlassen. Hiernach haben Nachbar:innen einen klimaschützenden bzw. energetisch bedingten nachträglichen Überbau meist zu dulden (vgl. § 7c NRG BW, § 23a NachbG NRW oder § 10a NachbG Hess). Eine entsprechende Vorschrift existiert auch in Berlin, § 16a NachbG Bln.

Verfassungskonformität der Berliner Regelung schon mehrfach Thema 

Um die Berliner Norm wurde schon länger gestritten. So war sie bereits im Jahr 2017 Gegenstand eines Verfahrens (Az. V ZR 196/16) vor dem Bundesgerichtshof. In ihrem damaligen Urteil äußerten die Karlsruher Richter:innen deutliche Zweifel, ob die Vorschrift verfassungskonform sei. Einer Entscheidung enthielten sie sich gleichwohl. Denn § 16a NachbG Bln war im damaligen konkreten Fall schon aus anderen Gründen nicht anwendbar.

Anders im nunmehr ergangenen Urteil. Die noch im Jahr 2017 bestehenden Unsicherheiten, ob die Länder überhaupt zur Gesetzgebung in diese Frage befugt sind, hatte der BGH bereits letzten November ausgeräumt. Art. 124 EGBG gebe den Ländern einen entsprechenden legislativen Spielraum.

Nunmehr äußerten sich die Richter auch tiefergehend zu der Frage, ob das Gesetz nicht nur vom richtigen Gesetzgeber erlassen wurde, sondern vielmehr der § 16a NachbG Bln auch inhaltlich mit der Verfassung in Einklang steht. Im Kern der Betrachtung: Eine möglicherweise zu weit gehende Beschränkung des Eigentumsgrundrechts von Nachbar:innen aus Art. 14 GG.

Diese Verfassungsrechtliche Frage stellte sich den Richtern aufgrund von Art. 100 GG. Nach der Vorschrift wären sie zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet gewesen, sofern sie den § 16a NachbG Bln als verfassungswidrig eingestuft hätten. Dies war aber nicht der Fall. Die Richter:innen äußerten lediglich Zweifel, waren aber nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt. Daher waren sie auch nicht zur Vorlage nach Art. 100 GG verpflichtet.

Klimaschutzgebot nach Art. 20a GG streitet für die Verfassungskonformität des Landesgesetzes

Die grundsätzliche Stoßrichtung des § 16a NachbG Bln unterstützte der BGH durchaus. Die Vorschrift verfolge mit den beabsichtigten Energieeinsparungen ein legitimes Ziel, zu dessen Erreichung das Gesetz im Ausgangspunkt geeignet und erforderlich sei.

Fraglich erschien dem Senat aber, ob das Gesetz auch verhältnismäßig sei. Dazu müsse es im Grundsatz auch die Interessen des Nachbarn angemessen berücksichtigen. Anders als die übrigen Landesgesetze, sieht die Berliner Regelung aber grade keine Einschränkungen der Duldungspflicht zugunsten des Nachbarn vor.

In anderen Bundesländern besteht die Pflicht zur Duldung des Überbaus in der Regel nur, sofern die Beeinträchtigung durch den Überbau „geringfügig“ ist, oder eine vergleichbare Dämmung auf andere Weise (etwa durch eine Innendämmung) mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann.

Da eine einschränkungslose Duldungspflicht vom Berliner Gesetzgeber aber auch genau so beabsichtigt gewesen sei, könne § 16a NachbG Bln auch nicht einschränkend ausgelegt werden, so die Richter:innen.

Gleichwohl war der Senat aber nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt. Denn zu den widerstreitenden Interessen der Nachbarn komme das Interesse der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden zum Zwecke des Klimaschutzes hinzu. An dieser Stelle verwies das Urteil noch einmal ausdrücklich auf den bereits angesprochenen Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Hiernach hat der Klimaschutz als Allgemeinwohlbelang Verfassungsrang, Art. 20a GG.

Schlussendlich sei nicht auszuschließen, dass der generalisierende Ansatz des Berliner Landesgesetzgebers, den Duldungsanspruch klar und einfach zu regeln, um damit die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu erreichen, noch zulässig sei. Das gelte auch dann, wenn damit für den jeweiligen Nachbarn im Einzelfall gewisse – unter Umständen auch erhebliche – Härten verbunden sein mögen.

Fazit

Im Ergebnis wirft der BGH damit bei vermeintlich profanen Fragen des Nachbarschutzes Erwägungen des Klimaschutzes tief in die Waagschale. Den entscheidenden Ausschlag in Richtung Verfassungskonformität gab wieder einmal das vom Bundesverfassungsgericht postulierte Klimaschutzgebot, Art. 20a GG. Erneut zeigt sich, wie weitreichend die Klimaschutzrechtsprechung der Verfassungsrichter:innen mittlerweile in die juristische Praxis hineinragt. Und dass – anders als anderswo – dankenswerterweise zugunsten des Klimaschutzes.