Erneuerbare Energien – Ein Jahr § 2 EEG: eine Zwischenbilanz
« NewsübersichtMit dem Inkrafttreten von § 2 EEG im Sommer 2022 waren große Hoffnungen der Erneuerbaren-Energie-Branche verbunden. Anhand einer Rechtsprechungsübersicht ziehen wir ein erstes Fazit: Wirkt sich § 2 EEG 2023 positiv auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus?
Am 29.07.2022 ist § 2 EEG 2023 in Kraft getreten. Gut ein Jahr später stellt sich die Frage, ob die in § 2 EEG 2023 enthaltenen Regelungen – das überragende öffentliche Interesse an den Erneuerbaren Energien sowie deren Vorrangigkeit in Schutzgüterabwägungen – die erhoffte Wirkung entfaltet haben.
Die relevantesten Entscheidungen der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung hatten sich insbesondere mit drei konkurrierenden öffentlichen Interessen zu beschäftigen: Dem Denkmalschutz einerseits, der optisch bedrängenden Wirkung von Windenergieanlagen auf Wohngebiete andererseits und drittens mit verteidigungspolitischen Belangen.
1. Auswirkungen von § 2 EEG im Denkmalschutzrecht
OVG Lüneburg (21.04.2022): Zuerst Zweifel an Durchschlagskraft des § 2 EEG ins Denkmalrecht
Noch vor Inkrafttreten von § 2 EEG, äußerte das OVG Lüneburg (21.04.2022 - 12 MS 188/21 – wir berichteten ausführlich) erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit des § 2 EEG im Denkmalrecht, da es die Rechtssetzungsbefugnisse des Bundes im Gebiet des Denkmalschutzes in Frage stellte. Eine Errichtung und den Betrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlage in der Nähe eines Einzelbaudenkmals und damit an einem tendenziell denkmalwidrigen Standort sei folglich – wie in der Vergangenheit üblich - nicht erforderlich und eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Denkmals.
OVG Greifswald (23.02.2023): Überragend öffentliches Interesse ist in Abwägung zu berücksichtigen
Nach Inkrafttreten von § 2 EEG entschied das OVG Greifswald am 23.02.2023 – 5 K 171/22 – dann konträr zum OVG Lüneburg und im Sinne des Ausbaus der Erneuerbaren Energien: Demzufolge kann § 2 EEG auch ohne eine denkmalschutzrechtliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes mittelbare Auswirkungen auf das Fachrecht entfalten und sei in der Abwägung des denkmalschutzrechtlichen Genehmigungsprozesses zu beachten. Das Gericht betonte zudem die überragende Wichtigkeit jeder einzelnen Anlage an jedem einzelnen Standort, weshalb diese sich entsprechend § 2 EEG in der Schutzgüterabwägung jedenfalls gegen ein nur niedrigschwellig betroffenes Denkmal und den Schutz seines Erscheinungsbildes durchsetzen kann.
2. § 2 EEG und die optisch bedrängende Wirkung von Windenergieanlagen
Zum Zusammenspiel von § 249 Abs. 10 BauGB und den Erneuerbaren Energien hatte das OVG Münster gleich zweimal zu entscheiden. Einmal am 27.10.2022 (22 D 363/21.AK) noch vor Inkrafttreten von § 249 Abs. 10 BauGB und einmal danach mit Urteil vom 03.02.2023 (7 D 298/21.AK) - wir berichteten.
§ 249 Abs. 10 BauGB lautet: Der öffentliche Belang einer optisch bedrängenden Wirkung steht einem Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 5, das der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dient, in der Regel nicht entgegen, wenn der Abstand von der Mitte des Mastfußes der Windenergieanlage bis zu einer zulässigen baulichen Nutzung zu Wohnzwecken mindestens der zweifachen Höhe der Windenergieanlage entspricht. Höhe im Sinne des Satzes 1 ist die Nabenhöhe zuzüglich Radius des Rotors.
Erstes Urteil: § 2 EEG wirkt sich auf Annahme einer optisch bedrängenden Wirkung aus
Im ersten Urteil machten Grundstückeigentümer geltend, dass sich die geplanten Windenergieanlagen zu nah an ihren Wohnhäusern befänden und dadurch eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung entstehe, die gegen das Rücksichtnahmegebot des § 35 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verstoße. Zu diesem Zeitpunkt war § 249 Abs. 10 BauGB noch nicht in Kraft getreten, doch bereits zur alten Regelung stellte das Gericht fest, dass im Rahmen der nach dem Rücksichtnahmegebot erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen § 2 EEG zu beachten sei. Da das überragend öffentliche Interesse am Ausbau der Erneuerbaren Energien auch verfassungsrechtlich fundiert und Ausdruck des Klimaschutzziels des Art. 20a GG sei, könne ein entgegenstehendes öffentliches Interesse nur überwiegen, wenn dieses mit einem dem in Art. 20a GG verankerten Klimaschutzgebot vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang geschützt ist. Bloße optische Effekte einer bedrängenden Wirkung zählte das OVG Münster nicht darunter.
Zweites Urteil: Gericht bestätigt Wirkung des § 2 EEG im Zusammenspiel mit § 249 Abs. 10 BauGB
Mit Inkrafttreten von § 249 Abs. 10 BauGB fand die Rechtsauffassung eine gesetzliche Grundlage: Danach steht einer Windenergieanlage i.S.v. § 35 Abs. 1 Nummer 5 BauGB - bei Einhaltung des 2H-Abstands zur Wohnbebauung - der öffentliche Belang einer optisch bedrängenden Wirkung in der Regel nicht entgegen. Das heißt: Wurde die 2H-Regel eingehalten, lässt sich nur noch schwer eine optisch bedrängende Wirkung konstruieren. Auch abweichende atypische Konstellationen seien – so das OVG Münster - an § 2 EEG zu messen.
OVG Münster (16.05.2023): § 2 EEG zeigt positive Wirkung auch bei nicht privilegierten Windenergieanlagen
Mit einem aktuellen dritten Urteil vom 16.05.2023 hatte das OVG Münster über die Zulässigkeit einer Windenergieanlage zu entscheiden, die nicht den vorgeschriebenen 1.000m-Abstand zum Wohngebiet einhielt und keine Privilegierung vorlag. Die damit als „sonstiges Vorhaben“ im Außenbereich unter § 35 Abs. 2 BauGB fallende Anlage ist nur zulässig, wenn keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt. Bei fehlender Ausschlussplanung bislang nahezu unmöglich. Nach dem OVG Münster ist jedoch auch bei § 35 Absatz 2 BauGB die in § 2 Satz 2 EEG vorgeschriebene Priorisierung der Erneuerbaren Energien in Schutzgüterabwägungen anzuwenden, weshalb das Gericht im Ergebnis der Abwägung keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange sah und die Anlage zulässig sei.
3. Verteidigungspolitische Belange der Bundeswehr in Zeiten von § 2 EEG
In Konflikt mit verteidigungspolitischen Belangen geraten besonders Windenergieanlagen, wenn diese innerhalb des Sicherheitskorridors einer militärischen Hubschraubertiefflugstrecke errichtet werden sollen. Für Kontroversen sorgten zuletzt zwei gegensätzliche gerichtliche Entscheidungen:
OVG Münster (11.05.2023): Trotz verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraums ist eine Einzelfallprüfung geboten
Freude löste dabei ein gerichtlicher Vergleich vor dem OVG Münster (11.05.2023 - 22 D 70/22.AK – unser Beitrag) aus: Die Bundeswehr akzeptierte die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage innerhalb des Sicherheitskorridors einer militärischen Hubschraubertiefflugstrecke. Zu dieser neuerlichen Wendung hat vielleicht auch das Gericht beigetragen, dass trotz des verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraums der Bundeswehr eine vertiefte Prüfung des Einzelfalls für geboten hält, insbesondere wenn es nur einer kleinen Streckenänderung Bedarf, die Anlage in einer Vorrangzone liegt und keine konkreten Einwände der Bundeswehr gegen die Planung vorliegen.
VGH Mannheim (04.04.2023): § 2 EEG auch bei verteidigungspolitischen Belangen zu beachten
Das Urteil des VGH Mannheim (04.04.2023 – 10 S 1560/22 - Maslaton berichtet) sorgte im Nachgang für Nüchternheit: Zwar ging das Gericht ebenfalls von der Erforderlichkeit einer Prüfung aus, ob an der entgegenstehenden militärischen Nutzung am jeweils konkret vorgesehenen Anlagenstandort auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Erneuerbaren Energien (§ 2 EEG) festgehalten werden soll oder ob der Windenergieanlage Raum gegeben werden kann. Diese falle jedoch in den verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraum der Bundeswehr, der gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbar ist.
IV. Fazit – Anwendungsbereich des § 2 EEG ist nicht zu unterschätzen
Wie die Urteile zeigen, findet § 2 EEG auch außerhalb energiewirtschaftlicher Sachverhalte Anwendung. Die Norm ist nicht nur ein abstraktes Programm der Exekutive, sondern selbst bei der einzelnen behördlichen Entscheidung zu beachten. Die Regelung fußt auf dem Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG und besitzt damit als verfassungsrechtlich fundierte Abwägungsentscheidung großes Gewicht. Auch wenn zuerst die Gerichte noch zaghaft in der Anwendung des § 2 EEG waren, zeichnet sich nun eine starke Tendenz hin zum Vorrang der Erneuerbaren Energien in der Abwägung mit anderen relevanten Belangen ab.