Verschuldensunabhängige Haftung des Netzbetreibers nach dem Produkthaftungsgesetz für Überspannungsschäden
« NewsübersichtIn einem aktuellen Urteil vom 25.02.2014 (VI ZR 144/13) hat der BGH entschieden, dass Netzbetreiber für Schäden an Haushaltsgeräten, die durch Überspannung nach einer Störung der Stromversorgung entstanden sind, aufgrund der verschuldensunabhängigen (Gefährdungs-)Haftung nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG haften.
In dem vorliegenden Streitfall machte der Kläger gegen die Beklagte, eine Betreiberin eines kommunalen Stomnetzes, Schadenersatz wegen eines Überspannungsschadens geltend. Das Netz wird von der Beklagten den Stromproduzenten und Abnehmern zur Verfügung gestellt. Auch das Haus des Klägers war an das Niederspannungsnetz der Beklagten angeschlossen. Auf Grund einer Störung im Versorgungsnetz kam es nach einem Stromausfall im Hausnetz des Klägers zur Überspannung, wodurch mehrere Elektrogeräte sowie die Heizung beschädigt wurden. Die Ursache für die Überspannung lag in der Unterbrechung von zwei sog. PEN-Leitern (PEN = protective earth neutral) in der Nähe des Hauses des Klägers, über die sein Haus mit der Erdungsanlage verbunden war.
Mit seiner Entscheidung hat der BGH die Haftung der Netzbetreiberin nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG bejaht und damit grundsätzlich festgestellt, dass Elektrizität ein Produkt im Sinne dieses Gesetzes sein kann, für das eine verschuldensunabhängige (Gefährdungs-)Haftung besteht. Gemäß § 1 Abs. 1 ProdHaftG muss der Hersteller eines Produkts dem Geschädigten den Schaden ersetzen, wenn durch den Fehler dieses Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird.
Bei der Frage der Fehlerhaftigkeit des Produkts stellt der BGH auf die Sicherheitserwartungen des Anschlussnutzers ab. Demnach liegt ein Fehler nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG bereits dann vor, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Der BGH stellt an dieser Stelle vor allem auf die Pflichten nach § 16 Abs. 3 NAV ab, wonach der der Netzbetreiber Spannung und Frequenz möglichst gleichbleibend zu halten hat, sodass allgemein übliche Verbrauchsgeräte und Stromerzeugungsanlagen einwandfrei betrieben werden können. Dies war im konkret entschieden Fall nicht gegeben. Vielmehr wies der gelieferte Strom aufgrund einer Überspannung einen Fehler auf, der Schäden an Elektrogeräten und der Heizung verursacht hat. Mit solchen übermäßigen Spannungsschwankungen muss der Abnehmer nach Auffassung des BGH nicht rechnen.
Der zweite vom BGH beantwortete Problemschwerpunkt war die Frage, ob ein Netzbetreiber auch als Hersteller des Produkts Elektrizität anzusehen ist. Hersteller im Sinne des ProdHaftG ist nämlich nur, wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Hersteller ist demnach jeder, in dessen Organisationsbereich das Produkt entstanden ist. Der BGH urteilte an dieser Stelle, dass Netzbetreiber unter den Begriff des Herstellers zu subsumieren und folglich auch als Hersteller des Produkts Elektrizität anzusehen sind. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Netzbetreiber Transformationen auf eine andere Spannungsebene vornimmt. In diesem Fall würde die Eigenschaft des Produkts Elektrizität durch den Betreiber des Stromnetzes in entscheidender Weise verändert, weil es nur nach der Transformation für den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten nutzbar ist.
Im Ergebnis dürfte ist dem BGH-Urteil eine enorme Bedeutung beizumessen sein, denn hierdurch wird die Haftung des Netzbetreibers auch für Überspannungsschäden, ohne dass er diese verschuldet hätte, erheblich ausgeweitet. Der Netzbetreiber ist als Hersteller des Produkts Elektrizität für Qualität und Fehlerfreiheit des aus seinem Netz bezogenen Stromes verantwortlich. Dabei kann er zur Beschränkung seiner Haftung auch nicht – wie sonst üblich - auf § 18 NAV verweisen, denn diese erstreckt sich nur auf Verträge, das Anschlussnutzungsverhältnis oder unerlaubte Handlung und gerade nicht auf die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz.
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