Windenergie - Ausnahmsloses Verbot von Windenergie im Wald ist verfassungswidrig
« NewsübersichtWegweisender Beschluss des BVerfG zum ThürWaldG mit einer klaren Nachricht an den Gesetzgeber: Ausnahmslose Beschränkungen der Erneuerbaren Energien gehören der Vergangenheit an!
Der Hintergrund:
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2661/21) war § 10 Abs. 1 S. 2 des Thüringer Waldgesetzes (ThürWaldG), erhoben von Eigentümer:innen von Waldgrundstücken in Thüringen, deren Wälder teilweise aufgrund von erheblichem Schädlingsbefall nicht oder nur sehr eingeschränkt forstwirtschaftlich nutzbar sind. Auch solche geschädigten Waldflächen (sog. Kalamitätsflächen) gelten als Wald. Damit die Beschwerdeführenden auf ihren Grundstücken Windenergieanlagen (WEA) errichten können, bedarf es in Thüringen einer Genehmigung zur Änderung der Nutzungsart nach dem Thüringer Waldgesetz:
§ 10 ThürWaldG - Änderung der Nutzungsart
(1) Wald darf nur nach vorheriger Genehmigung der unteren Forstbehörde in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden (Änderung der Nutzungsart). Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig. […]
Doch Satz zwei des § 10 Abs. 1 ThürWaldG schließt gerade die Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von WEA ausnahmslos aus. Die Beschwerdeführenden wendeten sich gegen diese Vorschrift und rügten insbesondere die Verletzung ihres Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG).
Pauschale Umwandlungsverbote nicht von Gesetzgebungskompetenz der Länder erfasst
In dem Beschluss vom 27. September 2022 entschied das BVerfG nun, dass das ausnahmslose Verbot von WEA im Wald nach dem Thüringer Waldgesetz verfassungswidrig und damit nichtig ist. Grund dafür ist, dass dem Freistaat Thüringen für das in § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG geregelte Verbot und den damit verbundenen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG die Gesetzgebungskompetenz fehlt.
Wie das BVerfG umfangreich begründet, ist ein solches flächenbezogenes Nutzungsverbot dem „Bodenrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) zuzuordnen, wofür dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zusteht. Der Bund, so das BVerfG, hat insbesondere durch die bauplanungsrechtliche Privilegierung von WEA im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) abschließend Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Zudem enthalte das Baugesetzbuch keine Öffnung, aus der die Länder eine Kompetenz für einen generellen Ausschluss von WEA auf Waldflächen herleiten könnten. § 249 Abs. 3 S. 1 BauGB erlaube den Ländern nur Abstandsregelungen zwischen Windenergie und Wohnbebauung, jedoch kein waldflächenbezogenes Errichtungsverbot. Des Weiteren spreche inhaltlich gegen eine Durchbrechung der Privilegierung, „dass der Ausbau der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels leistet und zugleich die Sicherung der Energieversorgung unterstützt.“ Vielmehr sei aufgrund des detaillierten Flächennutzungsregimes im Baugesetzbuch für WEA im Außenbereich eine ausdrückliche Öffnung zu erwarten.
Thüringer Gesetzgeber verkennt differenziertes Abwägungsregime
Auch § 9 Abs. 3 Nr. 2 Bundeswaldgesetz eröffne den Ländern keine Kompetenz: Danach können die Länder zwar für die Umwandlung von Wald weitere Einschränkungen bestimmen, doch pauschale Umwandlungsverbote durch den Landesgesetzgeber stehen der Privilegierung der Windenergie gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB entgegen und widersprechen § 9 BWaldG konzeptionell. § 9 BWaldG statuiert eine inhaltlich deutlich umrissene und differenzierte Abwägungsregel, nach der spezifische forstrechtliche Interessen (Walderhalt und -ökologie, Forstwirtschaft) mit den Interessen der Waldeigentümer zu einem Ausgleich zu bringen sind - ein pauschales Umwandlungsverbot der Länder verkennt gerade dies.
Thüringen ist bewusst in die Verfassungswidrigkeit gerannt
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt für niemanden überraschend. Insbesondere auch nicht für den jetzt vom BVerfG so gescholtenen thüringischen Gesetzgeber. Dieser war bestens über die jetzt vom BVerfG angeführten Mängel des ThürWaldG informiert, denn: Eine von der MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft erstellte Stellungnahme im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kam genau zu dem gleichen Ergebnis: Den Bundesländern fehlt schlicht und ergreifend die Gesetzgebungskompetenz für ein pauschales Verbot. Auch im Anhörungsverfahren vor dem Thüringer Landtag wurde diese Einschätzung so ausdrücklich formuliert. Der Rest ist bekannt: Das Gesetz wurde dennoch verabschiedet.
Ausblick: Andere Bundesländer müssen aufpassen
Nun schlägt der Beschluss des BVerfG hohe Wellen und findet nicht bloß in Thüringen Beachtung. Dass das BVerfG dem thüringischen Gesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz abgesprochen hat, lässt vermuten, dass der gleiche Maßstab auch an andere landesgesetzliche Regelungen mit pauschalen Nutzungsverboten von Windenergie in Wäldern anzusetzen ist. Es ist nicht ersichtlich, warum anderen Bundesländern die erforderliche Kompetenz zugebilligt werden sollte.
Insgesamt, so viel ist klar, ist die Entscheidung des BVerfG zu begrüßen. Allerdings muss betont werden, dass die Extrarunde über ein Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem BVerfG leicht hätte vermieden werden können. Gut, dass jetzt Klarheit herrscht!