Windenergie – VGH Mannheim rügt behördliche Untätigkeit aufs Schärfste
« NewsübersichtDer VGH Mannheim hat in einem seit acht (!) Jahren währenden Genehmigungsverfahren die Behörde verpflichtet, über einen Genehmigungsantrag für fünf WEA neu zu entscheiden.
Die MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft hat die mit Urteil vom 30.06.2022 (Az.: 10 S 848/21) erfolgreiche Klägerin vertreten.
Überlanges Verwaltungsverfahren und zweites Gerichtsverfahren
Das Gerichtsverfahren betrifft die im April 2014 beantragte Genehmigung von fünf Windenergieanlagen im Landkreis Reutlingen in Baden-Württemberg. Zunächst hatte die Behörde dem Verfahren erfolglos denkmalschutzrechtliche Belange entgegengehalten – wir berichteten hier. Da auch zwei Jahre nach dem Urteil des VG Sigmaringen die Genehmigung nicht erteilt worden war, erhob die Klägerin Anfang 2021 Untätigkeitsklage beim nunmehr zuständigen VGH Mannheim.
Inhaltlich befasste sich das Verfahren nunmehr mit Artenschutz. Konkret ging es um den Rotmilan und die Fledermaus.
Deutliche Worte zur behördlichen Untätigkeit
Obwohl die Klägerin die Erteilung der Genehmigung mit ausformulierten Nebenbestimmungen beantragt hatte und damit die Grundlage für ein Verpflichtungsurteil gegeben hatte, kam der VGH Mannheim lediglich zu einem zurückhaltenden Bescheidungsurteil. Eine konkrete Rechtsauffassung des Gerichts, das sich mehrfach auf das sog. steckengebliebene Genehmigungsverfahren und/oder fehlende Informationen beruft, wird jedoch nicht an allen Stellen sichtbar.
In begrüßenswerter Deutlichkeit stechen dafür die Ausführungen zur (Un-)Tätigkeit des zuständigen Landratsamtes Reutlingen sowie des übergeordneten Regierungspräsidiums Tübingen hervor. Nicht nur im Urteil, sondern auch in der Pressemitteilung des VGH Mannheim betont das Gericht, dass im Zusammenhang mit vorzulegenden artenschutzfachlichen Unterlagen auch die Genehmigungsbehörde Handlungs- und Mitwirkungspflichten unterliege. Es führt aus:
Die Behörde darf „den Antragsteller nicht schlicht ohne weitere Begründung auf die Notwendigkeit einer vollständigen Nachholung der mittlerweile veralteten Untersuchungen […] verweisen (…).“
Auch im Kontext der Kostentragung für solche Nacherhebungen könne nach Ansicht des VGH entscheidend sein, „ob die überlange Dauer eines Genehmigungsverfahrens ganz oder teilweise auch der Genehmigungsbehörde zur Last zu legen ist.“
Bescheidungsurteil und die Folgen
Darüber hinaus ist das Urteil im Kontext der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 23.10.2018 kritisch zu bewerten. Dort äußerte sich das BVerfG dahingehend, dass der Verwaltung und den Gerichten in Ausnahmefällen Erkenntnisgrenzen gesetzt sind. Dieses Urteil wird fälschlicherweise des Öfteren von Gerichten als Freibrief missverstanden, schwierige Sachverhalte mittels Bescheidungsurteil abzuservieren, anstatt die Verpflichtung zur Genehmigungserteilung auszusprechen. Gewonnen ist für die Projektierer:innen und den Klimaschutz damit wenig, wenn das Verfahren anschließend in die nächste Dauerschleife mit den Verwaltungsbehörden geht.
Dabei liegt die rechtliche Lösung auf der Hand: Insbesondere, wenn der Antragsteller selbst konkrete Nebenbestimmungen vorschlägt, die geeignet sind, naturschutzfachliche Bedenken zu beseitigen, ist de facto Spruchreife hergestellt. In der Folge kann und muss das Gericht die Verpflichtung zur Genehmigungserteilung ausurteilen.
Aussichten und Bedeutung
Obwohl das Urteil an einigen Stellen präzise Rechtsauffassungen vermissen lässt, setzt es doch ein eindeutiges Zeichen im Hinblick auf die wiederkehrende Untätigkeit der zuständigen Behörden. Angesichts der Notwendigkeit, die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, muss hier ein Umdenken stattfinden! Erfreulich, dass nach dem wegweisenden Urteil des VG Hannover im Juni 2022 – wir berichteten hier – nun auch der VGH Mannheim die Behörden in die Pflicht nimmt.