Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Windenergieanlagen in Industriegebieten
« NewsübersichtDas OVG Lüneburg hat mit seinem Urteil vom 25.06.2015 entschieden, dass ein Windenergievorhaben grundsätzlich in einem Industriegebiet i.S.v. § 9 BauNVO zulässig sein kann. Der Senat stellte sich damit gegen die Ansicht der Vorinstanz, die eine Vereinbarkeit von Windenergieanlagen mit dem Gebietstypus „Industriegebiet“ noch gänzlich ablehnte.
Das Verwaltungsgericht hielt es zwar aus heutiger Sicht denkbar, kommerziell genutzte Windenergieanlagen als in Industriegebieten allgemein zulässige Gewerbebetriebe aufzufassen. Jedoch finde für den hier in Rede stehenden Bebauungsplan aus dem Jahr 1976 die BauNVO des Jahres 1968 Anwendung, sodass das seinerzeit vorherrschende Normverständnis zu Grunde zu legen sei. Eine ernsthafte kommerzielle Nutzung kam nach Ansicht des VG unter damaligen Gesichtspunkten nicht in Betracht. Die den technischen Fortschritt berücksichtigende Rechtsentwicklung deute auf eine Sonderstellung der Windenergienutzung hin. Sie sei an unterschiedlichen Stellen innerhalb des BauGB und der BauNVO gesondert geregelt. Weiterhin wurde angenommen, dass sich Gemeinden bewusst mittels einer Flächennutzungsplanung für die Windenergienutzung entscheiden. Im Falle der Zulässigkeit von Windenergievorhaben innerhalb von Industriegebieten, stünde eine Einwirkungsmöglichkeit allenfalls über eine Planänderung mit Veränderungssperre zur Verfügung. Gemeinden wären demnach gezwungen ihre Bebauungspläne klarstellend zu regeln. Weiterhin könnte das Vorhaben aber nach Ansicht des VG auch dann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig sein.
Das OVG Lüneburg hält es für zutreffend, dass die Zulässigkeit des Vorhabens nach der Fassung des Jahres 1968 zu beurteilen ist. Nach § 9 Abs. 1 BauNVO dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Bei einer Windenergieanlage handelt es sich dabei um einen Gewerbebetrieb im planungsrechtlichen Sinn. Dem Senat erscheint die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zweifelhaft, die Zulässigkeit einer Windenergieanlage in einem Industriegebiet mit der Begründung abzulehnen, das damalige Normenverständnis habe eine ernsthafte kommerzielle Nutzung nicht in Betracht gezogen. § 30 Abs. 1 BauGB setzt voraus, dass ein Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht. Nach Ansicht des Senats muss es den Festsetzungen nicht entsprechen. Dabei ist es unschädlich, wenn sich keine positive Festsetzung zugunsten des Vorhabens findet. Folglich nimmt es das Gesetz hin, dass auch solche Anlagen errichtet werden können, an die der Plangeber bei der Aufstellung des Plans möglicherweise nicht gedacht hat. Auch die Gebietsverträglichkeit einer Windenergieanlage in einem Industriegebiet ist nach der Auffassung des Senats nicht schlechthin ausgeschlossen. Für eine Gebietsunverträglichkeit von Windenergieanlagen in einem Industriegebiet spricht aus Sicht des Senats nicht schon der Umstand, dass bauleitplanerisch die Möglichkeit besteht, Sondergebiete für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen festzusetzen. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Windenergieanlagen innerhalb von Bebauungsplangebieten ausschließlich in einem dafür ausgewiesenen Sondergebiet zulässig sind. Gegen diesen Schluss sprechen schon systematische Erwägungen. Hätte der Normgeber auch in Bezug auf Windenergieanlagen innerhalb von festgesetzten Baugebieten eine ausschließliche Zuständigkeit in Sondergebieten beabsichtigt, hätte es nahegelegen, diese seit der intensiven Nutzung von Windenergie ebenfalls in § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO zu regeln. Der Umstand, dass eine solche Regelung bislang fehlt, spricht nach Ansicht des Senats für eine Zulässigkeit in anderen Bebauungsplangebieten als in einem der Windenergie vorbehaltenen Sondergebiet. Als anderes Bebauungsplangebiet kommt dabei ein Industriegebiet in Betracht. Weiterhin gehen bei passendem Gebietszuschnitt und geeigneten Standort nicht automatisch Gefährdungen und Störungen von einer Windenergieanlage aus, die in dieser Hinsicht schlechterdings nicht beherrschbar wären.
Zwar kann sich eine – im konkreten Fall vom OVG tatsächlich bejahte – Unzulässigkeit jedoch aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergeben, wenn ein Vorhaben dem Gebot der Rücksichtnahme entgegensteht. Hier geht es indessen um eine einzelfallbezogene Beurteilung der Vorhabenzulässigkeit anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine Projektierung von Windenergieanlagen innerhalb von Industriegebieten nun in der Rechtsprechung erstmals mit ausführlicher Begründung dem Grunde nach bestätigt worden ist, wobei sich das OVG in weiten Teilen auf die Ausführungen von Frau Dr. Kupke in dem von MASLATON herausgegebenen Rechtshandbuch „Windenergieanlagen“ stützt. Letztendlich bleibt es aber hinsichtlich des Gebotes der Rücksichtnahme eine Frage des Einzelfalls, ob eine Vereinbarkeit mit Bauplanungsrecht bei Windenergieanlagen in Industriegebieten gegeben ist.
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