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Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers können finanzielle Abgeltung nicht genommenen Urlaubs verlangen

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Die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers können von dessen ehemaligem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen. Der Anspruch des verstorbenen Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gehe nämlich im Wege der Erbfolge auf seine Erben über. Dies hat der EuGH am 06.11.2018 in den verbundenen Rechtssachen C-569/16 (Stadt Wuppertal / M. E. B.) und C-570/16 (V. W. / M. B.) entschieden. Soweit das deutsche Erbrecht dem entgegenstehe, müsse es unangewendet bleiben.

A. Sachverhalt

Der verstorbene Ehemann von Frau M. E. B. war bei der Stadt Wuppertal und der verstorbene Ehemann von Frau M. B. bei Herrn W. beschäftigt. Da die Verstorbenen vor ihrem Tod nicht alle Urlaubstage genommen hatten, beantragten Frau M. E. B. und Frau M. B. als deren alleinige Rechtsnachfolgerinnen von den ehemaligen Arbeitgebern ihrer Ehemänner eine finanzielle Vergütung für diese Urlaubstage. Die Stadt Wuppertal und Herr W. lehnten die Zahlung ab, worauf Frau M. E. B. und Frau M. B. die deutschen Arbeitsgerichte bemühten, mit Erfolg. Die Berufungen der Ausgangsbeklagten (Arbeitgeber) dagegen wies das Landesarbeitsgericht zurück. Anschließend legten die Ausgangsbeklagten Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.

B. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschl. v. 18.10.2016, Az. 9 AZR 196/16)

Das BAG erkannte eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen für Erben nur an, wenn bei dem Verstorbenen ein Urlaubsabgeltungsanspruch bereits entstanden war (Urt. v. 12.3.2013, Az. 9 AZR 532/11). Der Arbeitnehmer musste also das Ende seines Arbeitsverhältnisses "überlebt" bzw. "erlebt" haben. Standen ihm dann noch Urlaubsansprüche zu, so verwandelten sich diese in einen Urlaubsabgeltungsanspruch beim Arbeitnehmer. Diesen Anspruch konnte er sodann auch vererben.

Das mit diesen Rechtsstreitigkeiten befasste BAG ersuchte den EuGH, in diesem Kontext das Unionsrecht (Arbeitzeit-Richtlinie 2003/88/EG und Charta der Grundrechte der Europäischen Union) auszulegen, wonach jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält und dieser Anspruch außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Das BAG wies darauf hin, dass der EuGH 2014 (Urt. v. 12.6.2014, Az.: C-118/13, "Bollacke") bereits entschieden hat, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit seinem Tod untergeht. Besonders zu berücksichtigen war dabei, dass das deutsche Erbrecht die Übertragung von Abgeltungsansprüchen ausdrücklich versagt.

C. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht nicht mit seinem Tod untergeht. Außerdem könnten die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen.

Zwar erkennt der EuGH an, dass der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge habe, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen könne, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der ihm zustünden, verbunden seien. Der zeitliche Aspekt sei jedoch nur eine der beiden Komponenten des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, das einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstelle und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich als Grundrecht verankert sei. Dieses Grundrecht umfasse auch einen Anspruch auf Bezahlung im Urlaub und – als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundener Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub. Diese finanzielle Komponente sei rein vermögensrechtlicher Natur und daher dazu bestimmt, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen, so dass der tatsächliche Zugriff auf diesen vermögensrechtlichen Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dem Vermögen des Arbeitsnehmers und in der Folge denjenigen, auf die es im Wege der Erbfolge übergehen soll, durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden könne.

Stelle sich heraus, dass eine nationale Regelung (wie die in Rede stehende deutsche Regelung) nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden könne, habe das nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen. Diese Verpflichtung habe das nationale Gericht unabhängig davon, ob sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein staatlicher Arbeitgeber (wie die Stadt Wuppertal) oder der Rechtsnachfolger und ein privater Arbeitgeber (wie Herr W.) gegenüberstehen.

D. Fazit

Welchen Weg das BAG nunmehr zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH gehen wird, bleibt abzuwarten. Das Ergebnis ist klar: Den Erben muss ein Abgeltungsanspruch zustehen. Denkbar erscheint es, dass das BAG nunmehr doch eine unionsrechtskonforme Auslegung der erb- und urlaubsrechtlichen nationalen Vorschriften für möglich hält. Verschiedene Landesarbeitsgerichte (LAG) hielten eine derartige unionsrechtskonforme Auslegung der deutschen (Erbrechts-)Vorschriften bereits für möglich (s. etwa LAG Köln, Urt. v. 14.7.2016, Az. 8 Sa 324/16; LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, Az. 3 Sa 21/15) und sprachen Erben von im Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmern bereits einen Zahlungsanspruch zu. Für das BAG wäre dies allerdings ein Bruch mit der bisherigen eigenen Rechtsprechung. Daher spricht einiges dafür, dass das BAG die deutschen Erbrechtsvorschriften insoweit für unionsrechtswidrig bewertet und bei Erbfällen von Urlaubsansprüchen nicht mehr anwenden wird.

Das Urteil ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Das ist eine wichtige Grundsatzentscheidung zum Schutz der Arbeitnehmerrechte. Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel am Ende des Arbeitsjahres, falls der Arbeitnehmer zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt hat.