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VGH München zum Anwendungsvorrang der bayerischen Vorgaben zum Artenschutz

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Mit Urteil vom 17.07.2020 (Az.: 15 N 19.1377) hat der VGH München einem Normenkontrollantrag eines anerkannten Umweltverbandes gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für die Planung von drei Windenergieanlagen stattgegeben, der nach Ansicht des Gerichts an Mängeln hinsichtlich der Methodik der Ermittlung, Prüfung und Bewertung der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG leidet. Das Gericht hat dabei dezidiert, gar schematisch, die Vorgaben zum Artenschutz des Landes Bayern abgearbeitet und keinerlei Abweichungen zugelassen.

Sachverhalt

Der streitgegenständliche vorhabenbezogene Bebauungsplan soll der Vorbereitung eines Windparks für drei Windenergieanlagen dienen. Im Rahmen der Bauleitplanung der zuständigen Gemeinde wurde ein Bebauungsplan aufgestellt, der auf die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Anlagen zugeschnitten ist, indem er konkrete Festsetzungen zu den Standorten und Höhen der einzelnen geplanten Anlagen regelt. Die Bekanntmachung des Bebauungsplans erfolgte am 19.07.2018. Gegen diesen vorhabenbezogenen Bebauungsplan stellte der Umweltverband am 18.07.2019 einen Normenkontrollantrag und machte darin die Unwirksamkeit des Plans wegen nicht ordnungsgemäß durchgeführter artenschutzrechtlicher Prüfung geltend.

Von Seiten des Umweltverbandes wurden Mängel in Methodik und Durchführung des dem Plan zugrundeliegenden artenschutzrechtlichen Fachbeitrags anhand der bayerischen Maßstäbe geltend gemacht. Relevante Papiere für den Umgang mit dem Umgang des Artenschutzes im Zusammenhang mit der Realisierung von Windenergievorhaben sind zum einen die „Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (Windenergieerlass)“ Bayern vom 19.07.2016 sowie die „Arbeitshilfe Vogelschutz und Windenergienutzung“ des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) mit Stand Februar 2017. Der Umweltverband trägt insbesondere vor, dass die für die Durchführung einer Raumnutzungsanalyse (RNA) erforderlichen Beobachtungspukte (sog. Fixpunkte) nicht entsprechend der einschlägigen Vorgaben gewählt worden sind und eine Beobachtung von zwei Hubsteigern aus erforderlich gewesen sei. Im vorliegenden Fall sind zwei Fixpunkte gewählt und lediglich ein Hubsteiger verwendet worden. Darüber hinaus wird die Datenbasis der Artenschutzprüfung bemängelt.

Im Ergebnis stimmt der VGH München dieser Kritik in weiten Teilen zu, so dass der Normenkontrollantrag Erfolg hat und der vorhabenbezogene Bebauungsplan für unwirksam erklärt worden ist.

Artenschutzprüfung auf Ebene der Bauleitplanung vs. Genehmigungsebene

Im Rahmen der Artenschutzprüfung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist stets eine vertiefende artspezifische Prüfung der Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG vorzunehmen. Soll die Nutzung von Windenergie durch Konzentrationszonen in einem Flächennutzungsplan dargestellt oder als Sondergebiete für die Windenergie in einem Bebauungsplan ausgewiesen werden, sind geringere Anforderungen an die durchzuführende Artenschutzprüfung zu stellen, da auf dieser Planungsebene die Details der Anlagenplanung häufig noch nicht feststehen und eine vollständige Bearbeitung des Artenschutzes mithin nicht möglich ist.

Anders liegt der Fall jedoch bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen, für die bereits auf dieser Planungsebene ersichtlich ist, welche konkreten Anlagenstandorte und -typen realisiert werden sollen. Dies liegt darin begründet, dass die bekannten Details der Windenergieplanung die planende Gemeinde bereits in die Lage versetzen, eine vollständige Artenschutzprüfung durchzuführen.

Der VGH München führt diese rechtliche Überlegung so weit, dass die planende Gemeinde bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen denselben Anforderungen an die Artenschutzprüfung unterliegen soll wie die Genehmigungsbehörde. Die Berücksichtigungspflicht bezüglich der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG ergebe sich im Rahmen der städtebaulichen Abwägung der planenden Gemeinde nach § 2 Abs. 3 BauGB, da die Auswirkungen einer Bauleitplanung in Bezug auf § 44 Abs. 1 BNatSchG zu den gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7a) BauGB abwägungserheblichen naturschutzfachlichen Belange gehöre.

Demgegenüber ging die planende Gemeinde von einer bereits ausreichenden Prüftiefe auf Ebene der Bauleitplanung aus. Entgegen dieser Auffassung soll die artenschutzrechtliche Prüfung nach Ansicht des VGH München umfassend bereits im Verfahren der Bauleitplanung und nicht erst auf der nachfolgenden Genehmigungsebene erfolgen. Aufgrund der Tatsache, dass die Details des geplanten Vorhabens bereits bekannt sind und der Bebauungsplan auf dieses Vorhaben zugeschnitten ist, sollen Einzelfragen der Artenschutzprüfung nicht dem nachfolgenden Verfahren der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung überlassen bleiben.

Anwendungsvorrang landesrechtlicher Artenschutzvorgaben

Der VGH München lässt Abweichungen zu den Vorgaben der bayerischen Arbeitspapiere – insbesondere hinsichtlich der Durchführung einer Raumnutzungsanalyse – nicht zu. Doch nicht jedes Bundesland interpretiert die artenschutzfachlichen Vorgaben gleichermaßen streng. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Beschluss des OVG Koblenz vom 16.08.2019 (Az.: 1 B 10539/19.OVG) zu sehen, über den wir bereits mit Meldung vom 17.09.2019 berichteten (https://www.maslaton.de/news/OVG-Koblenz-Keine-signifikante-Erhoehung-des-Toetungsrisikos-bei-Unterschreitung-von-Abstandsempfehlungen--n716).

Das OVG Koblenz erläutert, dass der Nachweis, dass die Signifikanzschwelle nicht überschritten wird, auch durch jede andere plausible Methode als die Durchführung einer Raumnutzungsanalyse erbracht werden kann, während der „Naturschutzfachlicher Rahmen zum Ausbau der Windenergienutzung in Rheinland-Pfalz“ vom 13.09.2012 die Durchführung einer RNA ausdrücklich vorsieht. Dadurch, dass das OVG Koblenz eine RNA führt nicht zwingend erforderlich hält, lässt das Gericht eine Abweichung zu Vorgaben des Naturschutzfachlichen Rahmens zu.

Grund für diesen unterschiedlichen Umgang mit den artenschutzfachlichen Vorgaben der Länder ist die jeweilige Einstufung des Verbindlichkeitsgrades. Das OVG Koblenz spricht dem Naturschutzfachlichen Rahmen Rheinland-Pfalz den Verbindlichkeitsgrad von fachlichen Empfehlungen und Prognosen zu, so dass sich einzelfallbezogene Abweichungen von dieser Arbeitshilfe als durchaus gut vertretbar erweisen können. Der bayerische Windenergieerlass wird vom VGH München hingegen als antizipiertes Sachverständigengutachten von hoher Qualität eingestuft, von denen nicht ohne fachlichen Grund und ohne gleichwertigen Ersatz abgewichen werden darf. Der gleiche Charakter kommt der Arbeitshilfe Vogelschutz zu. In konsequenter Anwendung dieser Einstufung werden Abweichungen in der Regel nur schwer zu begründen sein.

Ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden gerichtlichen Entscheidungen liegt darin, dass im Verfahren vor dem OVG Koblenz überhaupt keine Raumnutzungsanalyse durchgeführt worden ist, die anhand des Naturschutzfachlichen Rahmens hätte überprüft werden können, sondern ein Verzicht auf diese Untersuchung zugelassen wurde. Die planende Gemeinde hat im Verfahren vor dem VGH München bereits eine RNA durchgeführt, deren Methodik sich anhand der bayerischen Vorgaben überprüfen lässt.

Der Umweltverband führt in seinem Normenkontrollantrag aus, dass der Windenergieerlass im Fall von Windenergieanlagen im Wald eine Beobachtung von zwei Hubsteigern aus erfordere und lediglich einer bei der Untersuchung verwendet worden ist. Nach Ansicht des VGH München hätte es aufgrund der vorhandenen nicht gut einsehbaren Bereiche der Auswahl anderer Fixpunkte oder der Heranziehung weiterer Fixpunkte oder ggf. des Einsatzes eines weiteren Hubsteigers bedurft. Festgehalten werden kann diesbezüglich, dass weder der Windenergieerlass noch die Arbeitshilfe eine bestimmte Anzahl von einzusetzenden Hubsteigern vorsehen; diese werden in der Arbeitshilfe lediglich als hilfreiche technische Mittel genannt, um eine bessere Übersicht zu erhalten. Zwingend ist der Einsatz in keinem Fall. Der Fall verdeutlicht allerdings die Einbeziehung immer unrealistischerer Vorgaben für die Windenergie in Bezug auf den Artenschutz.

„Naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative“

Schließlich beruft sich die planende Gemeinde für die Ermittlung und Bewertung der Artenschutzbelange auf eine fehlerfreie Ausübung ihrer sog. naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative. Eine solche Einschätzungsprärogative ergibt sich nach den Beschlüssen des BVerfG vom 23.10.2018 (1 BvR 2523/13 und 1 BvR 595/14) jedoch gerade nicht aus dem BNatSchG, sondern vielmehr daraus, dass sich die Behörden in einem sog. Erkenntnisvakuum befinden. Der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt lediglich die Bewertung, ob der behördlichen Entscheidung schlüssige und plausible Überlegungen zugrunde liegen, soweit sich zu ökologischen Fragestellungen noch kein allgemein anerkannter Stand der Fachwissenschaft herausgebildet hat.

Während das OVG Koblenz in der Durchführung einer RNA keinen solchen anerkannten Maßstab sieht, lässt der VGH München Abweichungen von dieser erforderlichen Untersuchung nicht zu. Bei der gerichtlichen Plausibilitätsprüfung kommt es mithin auch auf den Verbindlichkeitsgrad der jeweiligen Arbeitspapiere an.

Fazit

Der VGH München stellt für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit in Bezug auf kollisionsgefährdete Vogelarten fest, wobei die Anforderungen an die Einhaltung der artenschutzrechtlichen Vorgaben konservativer verstanden werden als beispielsweise vom OVG Koblenz. Außer Acht gelassen wird dabei jedenfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Methodik und Untersuchungstiefe stets unterliegen, denn diese hängen im Allgemeinen von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab und sind artspezifisch zu wählen.

Im Verfahren vor dem VGH München wird deutlich, wie schmal der Grat zwischen einer reinen Plausibilitätskontrolle fachgutachterlicher Aussagen und der Vornahme einer eigenen gerichtlichen Bewertung des Artenschutzes verläuft. Der Fall zeigt also erneut klar, dass dringender – länderübergreifender – Regelungsbedarf im Artenschutzrecht besteht, um zu verhindern, dass übersteigerte Anforderungen der Gerichte und Behörden dazu führen, dass im Rahmen von artenschutzfachlichen Untersuchungen stets die strengsten Vorgaben der Arbeitspapiere umgesetzt werden (hier: Hubsteiger), obwohl diese aus fachlicher Sicht nicht notwendig werden und die Umsetzung mildere Vorgaben bereits ausreichen würden.