Windenergie: Erneute Änderung des § 9 BImschG beschlossen - Quo vadis, Bundesregierung?
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Die Bundesregierung hebt die neuen Regelungen zum Vorbescheid bei der Genehmigung von Windenergieanlagen teilweise wieder auf. Dadurch solle ein „Wildwuchs“ der Windenergie verhindert werden. Zu übersehen scheint die Regierung, dass sie diese Situation vorsätzlich herbeigeführt hatte.
I. Gegenstand des Gesetzesentwurfs
Die Minderheitsregierung des Bundes hat sich mit den Unionsparteien auf eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImschG) geeinigt. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde am 31. Januar im Plenum angenommen und wird voraussichtlich zeitnah in Kraft treten. Die Änderung des § 9 Abs. 1a BImschG kommt für die Windenergiebranche überraschend, da die Norm erst mit der großen BImschG-Novelle zum Juli des vergangenen Jahres überarbeitet wurde (wir berichteten).
Der durch die Novelle eingeführte § 9 Abs. 1a BImschG verbesserte die Rechtslage für Vorhabenträger von Windenergieanlagen, indem es diesen vereinfacht wurde, in Genehmigungsverfahren einen Vorbescheid und somit eine gesicherte Rechtsposition in einzelnen zu entscheidenden Rechtsfragen zu erlangen. Dies war aus der Branche gefordert worden, um die – bekanntermaßen – sehr aufwendigen Genehmigungsprozesse zu straffen, sich von den schwer zu überschauenden Änderungen der Rechtslage unabhängiger zu machen und frühzeitigen Rechtsschutz gegen Drittklagen erwirken zu können.
Die erneute Gesetzesänderung soll diese Möglichkeit nun für Rechtsfragen der Raumplanung einschränken: Vom Wortlaut der Norm erfasst war bisher insbesondere das Recht des Vorhabenträgers, eine vorgezogene Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Windenergieanlage beantragen zu können, und zwar unabhängig vom Stand der Raumplanung. Diese Möglichkeit besteht nun nicht mehr, wenn der vorgesehene Standort mit der in Aufstellung befindlichen, also noch nicht rechtskräftigen, Raumplanung unvereinbar ist. Konkret formuliert § 9 Abs. 1a S. 2 BImschG:
„Das berechtigte Interesse für einen Antrag auf Vorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 des Baugesetzbuchs besteht nicht, wenn der Vorhabenstandort außerhalb von ausgewiesenen Windenergiegebieten oder in Aufstellung befindlichen Windenergiegebieten im Sinne des § 2 Nummer 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes […] liegt, es sei denn, es handelt sich um ein Vorhaben im Sinne des § 16b Absatz 1 und 2 dieses Gesetzes [Repowering-Vorhaben].“
II. Vermeintliche Problematik der bisherigen Rechtslage
Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB sind Windenergieanlagen im sog. Außenbereich in aller Regel stadtplanerisch zulässig. Früher stand dem allerdings üblicherweise § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB entgegen, dem zufolge die Errichtung der Anlagen auf – sofern vorhanden – speziell im Regionalplan ausgewiesene Windenergievorrangflächen zu konzentrieren war.
Bereits im Vorfeld der BImschG-Novelle hatte der Gesetzgeber jedoch eine umfangreiche Reform des Bauplanungsrechts für Windenergieanlagen durch das Wind-an-Land-Gesetz beschlossen. Seither kann die Regionalplanung Windenergieanlagen im Außenbereich nur noch in Einzelfällen entgegengehalten werden, nämlich wenn entweder die gesetzlichen Ausbauziele erreicht wurden, § 249 Abs. 2 BauGB, oder der Planungsträger rechtzeitig bis zum 01. Februar 2024 eine übergangsweise Regionalplanung beschlossen hatte, § 245e Abs. 1 BauGB.
In einigen Regionen, die bislang keine dieser Voraussetzungen erfüllen, führte dies im vergangenen Jahr zu einer erheblich vereinfachten Rechtslage, die sich viele Vorhabenträger im Wege eines Vorbescheids sichern wollten. Grundsätzlich kann die Raumordnungsbehörde zwar bereits jetzt die Genehmigung raumbedeutsamer Vorhaben wie Windparks gemäß § 12 Abs. 2 ROG untersagen, wenn diese die in Aufstellung befindliche Raumplanung gefährden würden. Allerdings handelt es sich bei diesem Verfahren um eine fachbehördliche Einzelfallentscheidung; ein Risiko, das die Politik nicht länger eingehen zu wollen scheint.
III. Politischer Vorstoß aus Nordrhein-Westfalen
Laute Kritik an der bisherigen Situation kam insbesondere aus dem Hochsauerlandkreis, wo man von einer massiven Zunahme der Vorbescheid-Verfahren und einem damit verbundenen „Wildwuchs“ der Windenergie sprach (so eine einschlägige Petition). Erste sich widersetzende Gesetzgebungsversuche der Landesregierung NRW wurden jedoch alsbald durch das OVG Münster kassiert (Beschlüsse vom 26.09.2024 – 22 B 727/24.AK und 20.12.2024 – 8 B 906/24.AK). Dieses berief sich dabei insbesondere auf das überragende öffentliche Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien gemäß § 2 EEG 2023.
Fraglich ist, ob ein kürzlich durch die nordrhein-westfälische Landesregierung beschlossenes Genehmigungsmoratorium für ca. 1.500 Windenergieanlagen vor Gericht Bestand haben wird oder das Land dabei nicht seine Gesetzgebungskompetenz überschritt. Womöglich kommt es der Landesregierung hierauf aber gar nicht an, da die zuständigen Planungsträger bis zu einer gerichtlichen Entscheidung genug Zeit gewonnen haben werden, ihre Regionalplanung auszufertigen.
IV. Schwer nachzuvollziehende Erwägungen; Kritik
Der neue § 9 Abs. 1a S. 2 BImschG erklärt nun, Vorhabenträger hätten kein berechtigtes Interesse an einem Vorbescheid, wenn dieser nur darauf gerichtet ist, einen bauplanungsrechtlichen Übergangszustand zu fixieren und so Anlagen außerhalb von in Aufstellung befindlichen Windenergiegebieten zu errichten. Wie der Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese aus dem Hochsauerlandkreis äußert, würden solche Praktiken nämlich ohnehin über die Intention des § 9 Abs. 1a BImschG hinausgehen. Das verwundert, denn einem Vorbescheid wird schlichtweg das zum Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht zugrunde gelegt. Vorhabenträger sollten nach überzeugender Ansicht aufgrund der geltenden Rechtslage planen dürfen; ein Sich-abhängig-Machen von potenziellem, künftigem Recht ist privaten Unternehmen vielmehr nicht zumutbar.
Die Situation der vergangenen Monate war für die Bundesregierung auch im Vorhinein absehbar: Nicht ohne Grund räumte das Wind-an-Land-Gesetz staatlichen Planungsträgern Übergangsfristen ein, innerhalb derer einer weitreichenden Außenbereichsprivilegierung der Windenergie hätte vorgebeugt werden können. Das Gesetz gibt Planungsträgern zudem noch immer sämtliche Befugnisse, Windenergiegebiete auszuweisen und so die gesetzlichen Flächenziele zu erreichen, die erforderlich sind, um den Zubau von Windenergieanlagen weiterhin steuern zu können.
Ein mit dieser Situation verbundener Druck auf Behörden, entsprechende Verfahren schneller durchführen zu müssen als gewohnt, kann der obigen Argumentation nicht entgegengehalten werden. Er entspricht gerade dem Sinn und Zweck des Wind-an-Land-Gesetzes, welches eine in der Vergangenheit zu beobachtende Trägheit der Verwaltungsprozesse unterbinden soll. Die Geschehnisse in NRW zeigen tatsächlich nur eines: Dass das Wind-an-Land-Gesetz funktioniert. Nachdem die Ausbauziele des § 4 Nr. 1 EEG 2023 im Jahr 2024 deutlich verfehlt wurden, liegt eine jetzige Beschleunigung des Windenergiezubaus im Einklang mit den gesetzlich festgeschriebenen Energiewende- und Klimaschutzzielen, vgl. etwa § 1 Klimaschutzgesetz, § 2 EEG 2023 und Art. 20a Grundgesetz.
Anders als die Begründung des Gesetzesentwurfs vermuten lässt, ist auch nicht mit einer mittelbar schädlichen Auswirkung der vielen Vorbescheid-Verfahren auf die Energiewende zu rechnen, da ein von der Regionalplanung losgelöster Windenergiezubau die Akzeptanz der Bevölkerung für die Vorhaben gefährde. Im weiteren Genehmigungsprozess einer Windenergieanlage hat die zuständige Behörde in jedem Fall negative Auswirkungen der Anlage auf die Umwelt, einschließlich der Menschen, § 1 Abs. 1 BImschG, zu prüfen. Auch ist dem Akzeptanzgedanken durch in den letzten Jahren geschaffenes Recht bereits Genüge getan. In Nordrhein-Westfalen etwa ist nach § 6 Abs. 2 EEG 2023 sowie auf Landesebene nach dem Bürgerenergiegesetz eine finanzielle Beteiligung von Anwohnern an den Anlagen vorgesehen. Hinzu kommen die nach dem BImschG geforderten Beteiligungsverfahren.
V. Ausblick
Bundesweit dürfte die Gesetzesänderung für eine niedrige bis mittlere vierstellige Zahl Anlagen relevant sein. Projektierer sollten jetzt überprüfen, ob sich die planungsrechtliche Bewertung ihrer Standorte bis zur Erteilung einer finalen Genehmigung ändern könnte. Nicht wenige Vorhaben dürften damit vor dem Aus stehen. Für die Betroffenen ist die dies schmerzlich, da bereits viel Zeit und Kapital in die Standorte investiert wurden. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass Windenergieprojektierer, wie auch Grundstückseigentümer, weiterhin Vertrauen in die Langfristigkeit sie begünstigender Gesetze haben dürfen. Sie sind schließlich die entscheidenden Akteure der Energiewende. Möchte der Gesetzgeber die Steuerungsmöglichkeiten von Ländern und Kommunen beim Windenergieausbau weiter stärken, ohne dadurch die Energiewendeziele zu gefährden, böte sich hierfür zunächst die Überarbeitung der zahlreichen bürokratischen Hürden in Ausweisungs- und Genehmigungsprozessen an.
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