Gute Nachrichten für die Windkraft - OVG Münster zum Entfallen der aufschiebenden Wirkung, zu den artenschutzrechtlichen Ausnahmetatbeständen und zur Relevanz der Energiewende und der Windene
« NewsübersichtDas Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster (Beschl. v. 12.03.2021 - 7 B 8/21 - ) hatte im Rahmen einer Beschwerde zu entscheiden, ob die vom VG Aachen wiederhergestellte aufschiebende Wirkung der Klage einer anerkannten Umweltvereinigung gegen eine erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betreib von fünf Windenergieanlagen aufrecht zu erhalten ist. Die Beschwerde gegen den Beschluss des VG Aachen (Beschl. v. 18.12.2020 - 6 L 327/20 - ) hatte Erfolg. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erfolgende Interessenabwägung falle zugunsten des Vorhabenträgers aus, so dass der Antrag der Umweltvereinigung auf „Wiederherstellung“ der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.
Die Nutzung der Windenergie steht im öffentlichen Interesse!
II. aufschiebende Wirkung entfällt auch für vor dem 03.12.2020 erteilten Genehmigungen
Zunächst stellte das OVG Münster fest, dass der § 63 BImSchG, der durch das Investitionsbeschleunigungsgesetz vom 03.12.2020 eingeführt worden ist, auch für Genehmigungen gilt, die vor seinem Inkrafttreten erteilt worden sind. Demnach entfällt die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen die die Zulassung einer Windenergieanlage an Land betreffen per Gesetz.
II. Artenschutzrechtliche Ausnahmen im Zusammenhang mit der FFH-RL und VRL
Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erfolgende Interessenabwägung hatte das OVG Münster im Rahmen einer summarischen Prüfung zu klären, ob ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG gegeben ist.
Nach Auffassung des OVG Münster erscheint es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die angefochtene Genehmigung an einem Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG mit Blick auf ein Tötungsverbot in Bezug auf den Rotmilan leidet. Ob der Verstoß vorliegt hält das OVG für eine zumindest offene Frage, die nicht näher zu klären ist, da ein Ausnahmetatbestand nach § 45 Abs. 7 BNatSchG in Betracht zu ziehen ist.
Nach § 45 Abs. 7 S. 1 BNatSchG können die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von Verboten des § 44 weitere Ausnahmen zulassen, und zwar etwa nach Nr. 5 aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
Dieser Ausnahmetatbestand kommt grundsätzlich auch für die Windenergienutzung in Betracht. Insbesondere steht dem Ausnahmetatbestand auch nicht die Vogelschutzrichtlinie entgegen, wie etwa das VG Gießen meint.
„Insoweit spricht Einiges für ein ungeschriebenes weiteres Tatbestandsmerkmal für eine Ausnahme von den Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie im Sinne einer Gleichstellung der Ausnahmemöglichkeiten des Art. 16 der Habitatrichtlinie und des Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie. Es wird erwogen, dass aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass ein entsprechender Ausnahmetatbestand auch für den Anwendungsbereich der Vogelschutzrichtlinie gilt. Schließlich dürfte die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahme auch nicht von Vornherein im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 45 Abs. 7 BNatSchG als Ermessensvorschrift ausscheiden. Die Betätigung dieses Ermessen dürfte im Sinne einer Ausnahmegewährung vorgezeichnet (intendiert) sein, wenn die strengen tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 BNatSchG erfüllt sind.“
- OVG Münster, Beschl. v. 12.03.2021 (7 B 8/21) Rn. 43ff. -
III. Relevanz der Energiewende - Nutzung der Windenergie im öffentlichen Interesse
Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen bestätigt das OVG Münster, dass die Nutzung der Windenergie im öffentlichen Interesse steht (so auch schon das OVG Koblenz). Die Interessen, die für eine sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung sprechen, überwiegen.
Dafür spreche insbesondere die bereits angesprochene gesetzliche Regelung des § 63 BImSchG und die im EEG 2021 festgeschriebenen Ausbaupfade für erneuerbare Energien. Belange des Artenschutzes können dabei keine Ausnahme von der gesetzlichen Wertung des § 63 BImSchG rechtfertigen, jedenfalls solange wie die konkrete Population nicht gefährdet ist.
„Hiervon ausgehend sind in die Abwägung auf der einen Seite namentlich die Belange des Artenschutzes einzustellen; auf der anderen Seite sind nicht nur die wirtschaftlichen Belange der Beigeladenen zu berücksichtigen, sondern auch das schon in der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Antragsgegners vom 22.4.2020 hervor gehobene öffentliche Interesse an einer ausreichenden und sicheren Energieversorgung mit erneuerbarer Energie im Rahmen der Energiewende. So ist in § 1 Abs. 2 und 4 EEG 2021 festgeschrieben, dass der Anteil des aus erneuerbaren Energien - dazu zählt vornehmlich die Windenergie - erzeugten Stroms bis 2030 auf einen Anteil von 65 % des Bruttostromverbrauchs steigen soll und dass der Ausbau erneuerbarer Energie stetig erfolgen soll. Der Ausbaupfad wird in § 4 Nr. 1 EEG 2021 für die Windenergieanlagen an Land näher dahin bestimmt, dass jeweils bestimmte Vorgaben für die im Ergebnis zu erreichende Steigerung der installierten Leistung festgeschrieben werden (57 Gigawatt im Jahr 2022, 62 Gigawatt im Jahr 2024, 65 Gigawatt im Jahr 2026, 68 Gigawatt im Jahr 2028 und 71 Gigawatt im Jahr 2030). Damit sind die Zielvorgaben nach der früheren Fassung des EEG nachgeschärft worden. Das öffentliche Interesse an einer ausreichenden und sicheren Versorgung mit erneuerbarer Energie hat auch zudem nach den Zielen des Bundesnaturschutzgesetzes nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG besondere Bedeutung.“
- OVG Münster, Beschl. v. 12.03.2021 (7 B 8/21) Rn. 57ff. -
IV. Fazit
Der Beschluss des OVG Münster ist aus vielerlei Sicht erfreulich für die Windenergie und die Erneuerbaren Energien insgesamt. Zum einen zeigt er auf, dass Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG auch mit Blick auf das Europarecht zulässig sein können -- und zeigt einmal mehr, dass es sich bei der Entscheidung des VG Gießen um einen Ausreißer gehandelt hat – und zum anderen bestätigt es das öffentliche Interesse an der Windenergie. Insbesondere letzteres scheint sich vor den Oberverwaltungsgerichten immer mehr durchzusetzen. Damit leisten die Oberverwaltungsgerichte derzeit mehr als der Bundesgesetzgeber.
Zukunftsweisend – wenn auch nicht überraschend – ist nun auch klargestellt, dass die Abweichung von der gesetzlichen Wertung des neuen § 63 BImSchG besonderer Umstände bedarf. Die Behauptung es sei zu befürchten, dass durch die Genehmigung die Verwirklichung des Tatbestands des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG drohe genügt nicht – reichte gleichwohl in der Vergangenheit einigen Verwaltungsgericht aus. Auch insofern ist die Entscheidung des OVG Münster erfreulich.
Es scheint, dass bei den Oberverwaltungsgerichten insgesamt angekommen ist, dass der Vollzug der Energiewende im Interesse alle steht. Es bleibt zu hoffen, dass das auch alle anderen Gerichte dies erkennen.